I giorni

1.
Am offenen Fenster sitz ich, als wäre nichts passiert. Draußen die Wolken & probeweise: Berliner Frühling. Drinnen das Chaos, & Raussehenwollen. Alles ist. Es gibt keinen Widerspruch. Es gibt keine Angst. Auf dem Gehweg harkt jemand das Streusalz des Winters zusammen, & drüben stehen Maler auf einem Gerüst & malen die Hausfassade fuchsiafarben, die Fensterrahmen in Lavendel; sie malen & malen & lachen von hoch oben bis nach ganz unten, & der Wind bauscht ihr Lachen bis es ganz groß ist, & weit – bis es eine ganze Welt erfasst. Im Zimmer steht das Schachbrett neben dem Sessel, die Figuren noch von der letzten Nacht berührt, ein Spiel, das niemand gewonnen hat, weil es in der Schwebe ist zwischen den Tagen; darunter: die Schreibmaschine, deren Tasten eingestaubt sind vom Warten. Wie seltsam ruhig alles ist, mittags um 3. Wie alles sanft ist – sogar das Licht im Badezimmer, wenn der Mund rot ist, fast schwarz noch vom Wein, & die Haare abstehen in alle Richtungen, als sprängen sie einem vom Kopf. Ich gehe lichternd nach draußen.

2.
Den Abschied haben wir so viele Jahre schon geprobt, & jetzt, zwischen zwei Städten – bei zwei Gläsern Wein & einer Crème brûlée -, sagt der Mund plötzlich Ja. Ein neues Leben, denk’s dir. Ein neuer Mensch, der sich herausschält aus den Jahren; ein König, der zurückkehrt aus dem Exil, so geh ich durch die Gassen. An jedem der Bäume will das Licht sich verfangen zu Gold, & die Stimmen – was sagen sie jetzt? Durch die Notizbücher blättere ich, durch 2009/2010, durch ein Berlin, das sich mir hingab, das mir den Schierling ins Glas tat & Lorbeerblätter aufs Essen, von einem Leben les ich, das ganz laut sein wollte in den stillsten Augenblicken, & jetzt, & jetzt!, sagt der Schokokleks am Mundwinkel & die Hand auf dem Herz: was kommt jetzt, was ist die nächste Station?
Ich räume den Papierstapel fort, der solange schon beim Regal lag, & wische den Staub vom Boden; ich räume die Vergangenheit in eine Kiste, wo sie Platz hat: hier ist ein Brief aus Wien, den hat einst die Zuneigung geschrieben, & hier sind die kopierten Buchseiten, die – längst gelesen -, zwischen zwei Hände fallen; ein in braunes Leder gebundenes Buch mit Aufschrieben aus einer manischen Nacht – alles packe ich in die Kiste, & lächle schief & schüttle den Kopf ab & zu, weil ich mir das Älterwerden nie vorstellen konnte, diesen Moment… Was ist schon so schlimm dran? Ich stopfe die Wäsche in die Waschmaschine, & spüle das Geschirr, ich zupfe vertrocknete Blütenblätter von Pflanzen – aus einem der Zimmer dringt Gelächter, in einem der Zimmer sitzt ein Mann & weint aus Kummer, durch eines der Zimmer geh ich, als berührten meine Füße zum ersten Mal diesen Boden, als sei ich zum ersten Mal an diesem Ort, in dieser Wohnung aus fünf geträumten Jahren, & da im Flur seh ich die Bilder, die seit dem ersten Tag da an den Wänden hängen, sehe die Menschen, die wir waren – groß & dünn, mit einem Hang zum Trinken, & einem Hang zum Zerstören, & ich dreh mich um zu dem Jungen, der jetzt in diesem Zimmer wohnt, & plötzlich öffnen sich die Fenster. Es ist Tag, & immer Tag; die Schatten warten nicht mehr. Die Geisterstunde ist vorbei. Ich sehe A. nicht mehr, der hier den Teppich knickte; ich seh das Chaosmädchen nicht, wie sie da vor Wut die Türe schmiss; ich sehe keinen von ihnen – R. & G. & D. & N. & all die andren, die hier gelebt haben, die probeweise Berliner waren; sie sind alle auf einmal fort. Abends riecht es nach Essen, & morgens nach späten Nächten; ich pflücke Weintrauben direkt aus dem Kühlschrank, schütte mir Orangensaft ins Glas, & denke an den Don — an den Brief, an Barcelona, & es ist alles leicht, jetzt. Die Vergangenheit hat keine Macht mehr, denk ich. Kein Kokain, kein MDMA, kein Verlust in den Augen, sondern Fülle. Ich gehe hell zurück hinein.

3.
Ich kündige mit einem formlosen Schreiben. Ich lege das Blatt Papier mit einem Scherz auf den Tisch, es wird gelacht. Fast drei Jahre war ich hier, überall, an zu kleinen Tischen & unter gleißendem Licht, morgens – ganz früh -, bis spät – ganz spät -, in die Nacht: ich habe mit hastigen Fingern meine Pizza zerrissen & vergebens auf kaltes Bier gehofft – Aspirin auf dem Tisch, & die Wut in den Augen – Momente, die nicht gehen wollten, die zu Jahren wurden: Wie eine Arbeit den Menschen formt! Wie sie ihn stößt & antreibt, wie sie ihn schleift. Jetzt endet es unvermittelt, & alles ist blank & neu, & die Angst will mir in den Mund kriechen & statt meiner all die Abschiedsphrasen sagen. Nein, es war nicht schlecht, nein nein, ganz im Gegenteil, & ich meine es ernst. Die Zeiten waren golden, die Menschen ein Geschenk. Aber warum jetzt? Was ist denn passiert? In Flugzeugen treffe ich meine wichtigsten Entscheidungen, denk ich grinsend, & denke an den Flug nach Barcelona vor zwei Jahren, denke an Paris vor ein paar Tagen – jetzt: die Enge von Plastik & Stahl & die Sonne im Gesicht. Sich zum Heiligen erklären, zum Märtyrer der gescheiterten Künstler – das hat nichts gebracht. & auch die Rolle des tobenden Gottes wollte nicht passen. Alles ein ständiges Drehen – solange, bis man brüchig wird an den Rändern & in der Mitte ganz weich, bis der Schlaf einen so fest ins Bett drückt, dass einem die Träume ausgehen. Es reicht, plötzlich. Die Gedanken kommen wieder, sie steigen auf aus dem Dämmerschlaf der Maschinen. Das ist wie Liebe. Ich gehe & gehe, werde zu Licht zwischen den Menschen. Suchen? Was suchen, wenn nicht Freiheit, wenn nicht das Gefühl, alles erreichen zu können – sich daran zu erinnern, als hätte man’s nur für einen Augenblick vergessen, & nicht für drei Jahre. Wieder aufstehen können – ohne ein Gewicht in den Augen, ohne das Blei in den Adern. Man muss es nur tun, denk ich, & fühle mich gut.

4 Comments

  1. und jetzt! und jetzt? fragts in mir nach deinem text. und zieht mir die schuhe aus. und hinaus in die weite welt. der drang, einfach alles stehen und liegen zu lassen, ist unermesslich gerade. weg. raus. ich möchte sagen: i’m done. inspirierend bist du. danke dafür.

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  2. Ich kündige mit einem formlosen Schreiben. Ich lege das Blatt Papier mit einem Scherz auf den Tisch, es wird gelacht. Fast drei Jahre war ich hier, überall, an zu kleinen Tischen & unter gleißendem Licht, morgens – ganz früh -, bis spät – ganz spät -, in die Nacht: ich habe mit hastigen Fingern meine Pizza zerrissen & vergebens auf kaltes Bier gehofft – Aspirin auf dem Tisch, & die Wut in den Augen – Momente, die nicht gehen wollten, die zu Jahren wurden: Wie eine Arbeit den Menschen formt! Wie sie ihn stößt & antreibt, wie sie ihn schleift. Jetzt endet es unvermittelt, & alles ist blank & neu, & die Angst will mir in den Mund kriechen & statt meiner all die Abschiedsphrasen sagen. Nein, es war nicht schlecht, nein nein, ganz im Gegenteil, & ich meine es ernst. Die Zeiten waren golden, die Menschen ein Geschenk.

    # ich rautiere dies. und dich.

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  3. Ich nehme Anlauf in trüben Gedanken, kneife kurz vor dem Sprung die Augen zu und lasse mich fallen. Hinein in deine Worte. Tauche, schwimme, treibe. Verharre an der einen Stelle und kehre dreimal zurück zu einer anderen. Deine Worte umsprudeln mich, lassen mich etwas aufwachen und lassen mich etwas träumen. Und führen mich schließlich zu Gedanken, die ich wieder gern tätschele. Langsam steige ich wieder heraus aus deinem Wortpool. Für heute hatte ich genug, sonst werden meine Gedanken noch schrumpelig.

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  4. wunderschön beschrieben, diesen neuanfang mit sich…die musik ist wie der spiegel dieser erzählten bilder und stimmungen…
    da ich das ähnlich erlebt habe, war mir, als hätte ich in meinen lebensaufzeichnungen gestöbert…
    sollte dies nicht frei erfunden sein und auf wahren tatsachen beruhen, dann wünsche ich dir alles gute für die neue lebenszeit-epoche!
    und was sich gut anfühlt, tief von innen her – das ist und wird auch gut!

    gruß von
    fernesleuchten

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