Deinetwegen

Das Diktat von Wäsche & Besteck, das Diktat der schmutzigen Dinge. Immer gibt es Staubflusen zwischen den Türen, es sammelt sich Dreck unter den Fenstern, die Teller im Spülbecken, die Pfandflaschen im Eck. Ich trinke zu viel Cola. Ich esse zu wenig Gemüse. Ich, ein Mann im biblischen Alter. Mit 33 hing Jesus am Kreuz. Ich hänge vor Netflix – fahre jeden Tag zur Hölle für Nichtbegangenes, für Versäumtes; es gibt kein anderes Paradies als das derzeitige: Wenn du mich morgens umarmst,
ein fester Griff mit zwei Armen,
Händen, die,
wenn sie könnten,
die ganze Welt umarmten,
& dein Atem in meinem Nacken, ein Säuseln, ein Beinahe-Küssen, & ich, der noch müde dem Schlaf nachhängt, ein Nachtwächter fremder Träume, ein von der Erholung Abgehängter, spüre deinen Körper im Rücken, dein Herz, das anklopft an Muskeln & Rippen, ein ganzes Leben in dieser Berührung – eine Zukunft. Das ist Wahrheit. Das ist echt. Alles andere hingegen…

Diese Gegenwart ist unruhig, wie Kerzenflackern.

Wenn ich daran denke, wie ich früher war, wie ich nachts am Schreibtisch saß & schrieb, wie ich den Dingen nachging
– ein Spürhund, ein Geigerzähler –,
als wär ich besessen davon. Ich sehe noch heute das blaue Rechteck über mir, das Fenster zum Himmel – in der Ferne die Dachpyramiden der Nachbarhäuser; ich habe oft da gesessen, unter dem Fenster, habe den Blick ins Ziellose geschmissen, ins Unbestimmte. Da gab es Äste irgendwo, vielleicht Sterne. Ich erinnere mich dunkel an Sterne, aber möglicherweise denk ich mir die auch nur nachträglich dazu, verfuge die Erinnerungen neu, romantisiere. Ich habe damals viel geschrieben, war jeden Tag ans Schreiben gebunden. Wie leicht mir das fiel. Wenn sich heute einer ein Glas Wasser eingießt, hat der mehr Probleme als ich damals beim Schreiben. & jetzt? Die Sätze wie Stacheldraht. Ich poltere durch einzelne Wörter, zähle auf; mir gelingt selten ein Absatz, der mir gefällt. Alles, was ich schreibe, liest sich wüst & fremd, gedankenlos. Als müsse mich gleich einer unterbrechen, als wäre mir das Schreiben lästig, ein Herzenszwang, schau doch, wie schwer der sich tut.

In manchen Momenten ist mir, als hätte ich das Leben angefangen & dann irgendwann – plötzlich –, abgebrochen. Die Erzählungen aber, die brodeln mir immer noch auf beiden Lippen,
von Labyrinthen & Fäden,
den roten,
geborgten,
von den Gewittern & Stürmen, den Gezeiten,
den großen Dingen,
& den kleinen,
vom Wahnsinn & von Rache,
vom Verlassensein & Gefundenwerden,
von der Liebe, die wie ein Zug entgleist & – ungebremst – alles mit sich reißt,
hörst du’s nicht? es ist alles noch da!,

& all diese Gefühle, die tief in mir treten & stampfen, die mir, wie zu scharfer Kaugummi, wie Wasabi auf einmal in der Nase brennen, die sich nachts freikämpfen, wenn die Himmel groß sind & die Kleidung viel zu eng, viel zu nah dran am Menschen, wenn das Herz ansetzt zum großen Schlag, wenn deine Finger meine suchen –
wenn alles wegfegt,
das Kleinliche, das Bestehenmüssen,
die Sorgen um ein Morgen, das niemals kommt,
weil die Gegenwart, ein Kerzenflackern, heller brennt als die dunkelsten Gedanken – hier:

Am Meer sitz ich, an den Klippen, & höre die Möwen. Unten spielen sie im Wasser, springen kopfüber ins Türkis, ins Azur, springen wie sie’s vor tausend Jahren schon taten, & die Wellen – brechen – wirbeln – spritzen weiße Gischt an weiße Felsen. Über mir tun sich blaue Rechtecke auf, da sind Sterne. Was ist, was war? Ich will, federleicht, aufspringen, will mich in die Luft stürzen &

Orkanwind, Graupelschauer

niedergehen wie Hagel,

als Sintflut über diese Straßen brechen, die mich von dir trennen,

als Verräter überlaufen an allen Stellen:

Hinter mir die Ewigkeit, vor mir – dein Herzschlag unter meinen Fingerkuppen – das Dreieck deiner Haare – die Grübchen – das Bernstein deiner Augen – die Gegenwart als Stichflamme: Wohin, wenn nicht zurück zu dir? Als ich über die Wurzeln springe, die Treppe hinauf & die Straße hinab, diesen einen Weg entlang, an der kroatischen Küste, da verstehe ich, verstehe, was mir vom Schreiben blieb, von der Wucht der Gefühle, die in mir treten & stampfen, denn hier:

an Schultern & Hals,
zwischen Ohren & Nabel
hier sind die roten Fäden,
& sie führen zu dir,
dir,
immer nur zu dir
zurück & immer zurück,

& ich muss aufpassen, dass ich nicht renne, dass ich die letzten Meter nicht überstürze, dass ich diesen Weg nicht so nehme wie die letzten Jahre, aber ich bin schon an den Bäumen vorbei, spüre noch Rinde & Gras, das wilde Leben, das als Ameise mir über die Haut gekrabbelt ist, gehe als weiße Gischt auf weißem Stein, als du dich umdrehst –

du sitzt auf diesem blauen Rechteck,

Leuchtturm, Lichtermeer

die bunte Mütze schief auf deinem Kopf, die Sonnenbrille vorne auf der Nasenspitze, so hast du dich umgedreht zu mir, hast dich zwischen all den Menschen zu mir gedreht, & ich – Träumer – komme endlich aus meinem Labyrinth heraus, komme zurück zu dir, immer nur zurück. Zu dir.

1 Comments

  1. dieFraumitdenGeschichten 27. September 2018 um 07:29

    Richtig schön und richtig ehrlich und irgendwie auch richtig traurig.

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