Echokammern

Als ich jünger war. Als ich noch etwas zu sagen hatte. Als die Wörter mir gehörten.

Ich fange jeden Tag von vorne an. Mit einer Tasse Kaffee setze ich mich an den Schreibtisch, sortiere geschäftig Papier, sortiere in kleinen Fenstern kleine Gedanken – Befindlichkeiten – Ausschnitte eines pausierten Lebens. Dabei ist es nicht nur die Pandemie, die mich verstummen lässt; ich war vorher schon stumm. Habe wiederholt versucht, mich zum Schreiben aufzuraffen. Habe versucht, meine Gedanken in eine Reihenfolge zu bringen, die sagbar ist, die sich gut anfühlt unter den Fingern, auf den Lippen. Eine Reihenfolge, die logisch aufeinander aufbaut, ein Anfang gewordener Hauptteil, der immer zum Schluss hinstrebt, um realisiert worden zu sein. Ich wollte eine Gleichzeitigkeit meiner Gedanken & Gefühle, die nicht im Chaos endet, sondern in der Erzählung. Ich wollte erzählen können – & mundgerecht bleiben. Nur nichts Sperriges schaffen, nichts, was sich nicht verstehen, nicht verarbeiten lässt. Arbeite ich also zu lange im Marketing? Gibt es überhaupt ein Fazit?

Früher. Das ist ein undefinierbarer Zeitpunkt für mich. Ich erinnere mich zwar, dass es ein Früher gab. Eine Zeit, in der ich um 5 Uhr morgens aufgestanden bin, um mir – vor der Arbeit in der Redaktion – geborgte Arthouse Filme anzuschauen. Eine Zeit der weißen Nächte. Der manisch runtergeschriebenen Geschichten. Als meine Lippen taub waren vom Küssen & Schwänzelutschen. Aber dieses Früher ist nicht fühlbar. Ich verstehe nicht mehr, wer ich war. Da lese ich alte Nachrichten – Nachrichten, die ich Affären schrieb, die heute keine Gesichter, keine Körper, keine Gerüche, keine Seelen mehr haben –, klicke mich von SMS zu E-Mail & begreife kaum, wer da redet. Wessen Stimme ist das, wessen Sprache? Es muss ein Mann sein, so Mitte, Ende 20, der durch die Stadt Berlin treibt, besessen von einem Theaterstück ins nächste, von Konzert zu Konzert, dessen Kopf voll ist von Musik & Lärm, der nachts Gedichte von Paul Celan & Ingeborg Bachmann rezitiert, der mit Virginia Woolf im Blut, fiebernd, rastlos, durch die Straßen eilt. Generation ohne Abschied. Generation der Ankunft. Immer kommt dieser Mann an, verfängt sich in den Nächten, Lichtern, Männern, dem knirschen die Zähne, dem blutet das Maul, aber satt ist der nie. Nie müde. Wer ist das?

Die Leichtigkeit & Flüchtigkeit, die lange Klage der Sehnsucht.
Das war einmal. Jetzt ist Instagram.

Wer sich selbst begreifen will, schaut zurück, aber was sehen wir da hinter uns? Welche Menschen wollten wir sein, welche sind wir geworden? & noch viel wichtiger: Sind wir zufrieden damit? Mit dieser Entwicklung? Wie lange darf man zurücksehen, wann wird es gefährlich? Wenn wir mit dem Rücken in Richtung Zukunft laufen etwa? Wenn wir verrückt werden vom Zurücksehen? (Eurydike). Passiert das überhaupt – passiert es einem Plural oder passiert es nur mir? Die Nostalgie als Nervengift. Wie Balance halten zum Menschen, der war, & zum Menschen, der ist? Wie eine Brücke bauen zum Menschen, der werden muss? Der werden will. Wie Ruhe schaffen in einer Welt, die in sich nichts weiter ist als Lautstärke? Was widerfährt Echo am Ende der Fabel? Eventually, Echo, too, began to waste away. Auch das hat also keine Zukunft.

Ich kann nicht aufhören darüber nachzudenken, was mir das Schreiben war. Präteritum. Als hätte ich keinen Zugriff mehr darauf, als fehlte mir ein grundsätzliches Verständnis dazu. Bin ich nicht mehr hungrig? Sind die Ambitionen im Glückstaumel verkümmert? (Began to waste away). Bin ich mein eigenes Echo? Wenn ich mich darauf konzentriere – die richtige Schallplatte auflege, das Licht den richtigen Farbton annimmt, die Luft nach etwas Bestimmtem riecht –, dann bin ich plötzlich da, ins Bewusstsein gestoßen, als hätte mir wer eine Adrenalin-Spritze direkt ins Herz gerammt. Die Haut prickelt. Die Füße wippen.

Als wäre keine Zeit vergangen. Als ich etwas zu sagen hatte. Als die Wörter mir gehörten.

Sie sagen mir, ich solle einfach weitermachen, ich solle nicht aufgeben, solle kämpfen. Die Wörter kämen zurück, die Geschichten. Ich solle üben, üben – ausgerechnet. Als sei ich blutiger Anfänger. Ich solle mir den Wecker zum Schreiben stellen, solle mir ein Ritual draus machen, so, als hätte ich nicht selbst schon tausendmal den gleichen Gedanken gehabt, als hätte ich das nicht bereits versucht. Ich sei nicht konsequent genug, sagen sie. Ich versuche es nicht hart genug. Ich versuche es, im Grunde, überhaupt nicht mehr. Der Kapitalismus habe über mich gesiegt. Der Kommerz & das private Glück hätten mich erobert; ich sei als gefallene Stadt, als Ruine, vom Haben besessen. Also legen sie mir Bücher ans Herzen, sie schicken mir Essays & stecken mir Briefchen zu, die das Feuer entzünden sollen, Anklageschriften, Manifeste. Ich lese Borcherts Generation ohne Abschied, ich lese Ginsbergs Howl. Mir brennen die Augen. Mir brennt der Dreck unter den Nägeln. Ja, vielleicht. Vielleicht ist nicht das Echo das Problem. Vielleicht ist es die Kammer. Vielleicht ist es Zeit aufzubrechen.

2 Comments

  1. The Song of Love is a sad Song. Hi-Lili, Hi-Lili, Hi-Lo…

    Mir ist egal ob Du sperrig bist oder unlogisch Oder ob du im Marketing Hühner in die Füße platt klopfst und sie den Kunden als Enten verkaufst. Du schreibst immer noch so, dass ich beim Lesen zubeiße und etwas fühle, so, dass Deine Zeilen nahrhafte Gefühle wecken, seien es auch nur Deine Sehnsüchte. Vielleicht, weil ich es nachfühlen kann….
    Aber Sehnsucht ist unsterblich und wenn sie unerfüllt bleibt, wird sie zur Untoten, eine Vampirin, mit Reißzähnen. Sie versucht, Dir das Blut auszusaugen.
    Du schreibst blutende Texte.
    Darum sind sie so gut und so tief.
    Weihwasserworte.
    Liebe
    Grüße
    Amélie

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    1. Hey Amélie, das freut mich – & hilft. Ich wollte zwar nicht(s) heilig sprechen (!), aber geweihtes Wasser reinigt besser. Oder so. Danke jedenfalls. Dein Kommentar setzt mein Eigenes in einen größeren Kontext, in einen Raum außerhalb des Raums, weg vom Selbstgespräch, hin zum Dialog. Das gefällt mir.

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