Tank Man

Ich gehe als Fremder durch die Wohnung, der Hund an meiner Seite; wir gehen durch Räume, die uns Covid gelassen hat. Zimmer, sorgsam eingerichtet, die Frieden schaffen sollen im Innern: Alles ist durchdacht, kuratiert & geordnet. Die Bücher, die Pflanzen, selbst das Obst in den Schalen. Das Private ist zur letzten Bastion geworden. Zum Smoke screen, der nichts hindurch lassen soll, was draußen passiert. Nichts darf zu sehen sein von der zerbrochenen Hegemonie, die nie intakt war; von dem kollabierenden Ökosystem, das nicht mehr zu retten ist. Von Hass & Missgunst, Verzweiflung & Angst. Es stimmt – auch wir haben uns alle Fenster nach draußen verspiegelt, damit sie nur noch das Innere zeigen: das Politische als Meme, schnell & ohne Konsequenz geteilt, kommentiert, diskutiert – verdrängt vom nächsten Skandal. Vergessen. Hier passiert ein Aufstand ohne Menschen; es ist eine Guillotine ohne Klinge. Hier wird das Persönliche zur Antwort auf jede Frage: Wer soll das Klima retten? Du. Wer ist schuld daran, dass alles so ist, wie es ist? Du. Wer muss sich ändern? Du. Immer du. Immer ich. Der Mensch als formbare Masse seiner eigenen Bedürfnisse. Finde den Konsumenten in dir, finde das Optimum. Solange uns aber Social media betäubt, ist da leider nichts zu machen. Die Wahrheit ist: Wir haben uns domestizieren lassen. Wir haben all die Wut konsumierbar gemacht. Influenceable. Wie also erträgst du, dass du Ursache & Lösung des Problems bist? Wie erträgst du diese Spannungen? Wie viel Rauch hält dieser Spiegel?

Sehe ich raus, sehe ich überschwemmte Straßen & verbranntes Gras. Die Möwen über der Spree sind verstummt. Da sind Obdachlose, die sich erschöpft in die Wohnbezirke schleppen, die müde in Türeingängen sitzen – menschliche Barrikaden der Armut, der Vernachlässigung; sie trinken das Billigste & essen, was man ihnen zuwirft. Sie sind ganz sanft in ihrer Müdigkeit, ohne Zorn. Wie geschlagene Hunde gehen sie den Menschen aus dem Weg, huschen von Mülleimer zu Mülleimer, nur um niemanden zu behindern; sie beeilen sich im Betteln, sind dankbar für jeden Augenkontakt, für jede Anerkennung: Ja, auch du existierst. Aber sobald ein Blick zu lange dauert, werden sie unruhig. Da senken sie verlegen den Kopf, senken sich selbst zurück in den Boden. Das haben sie mit den anderen gemein: Alle bemühen sich darum, die Armen auf den Straßen zu ignorieren; sie klammern sich dabei an ihre Smartphones, als ging’s ums nackte Überleben. Sehe ich raus, sehe ich Gewalt, sehe Leerstellen, wo eben noch Menschen waren, sehe Autos, die über Jugendliche hinweg rollen, als hätten die sich nicht aus Protest auf die Straßen geklebt, als wäre die Produktion der Mittel wirklich ohne Alternativen, als wäre ein Leben nichts wert & der Kampf um die Umwelt ein terroristischer Akt. Sind das die Märkte, die alles regeln? Ist das unser kapitalistisches Paradies? Selbst der Panzer auf dem Tian’anmen-Platz ist vor einem einzelnen Mann stehengeblieben. Deutsche hingegen fahren weiter. Sie fordern Strafen & Freiheitsentzug; werden zornig, weil sie so gerne arbeiten, gerne Auto fahren, gerne pünktlich sind. Deutsche beschweren sich über eine Generation, weil sie um ihr Überleben kämpft; sind erschüttert, weil Deutsche Nazis zurück in die Regierung wählen; haben keine Erklärungen, keine Antworten, keine Lösungen, zeigen nur mit Fingern. Deutschland – deine Böden müssen vergiftet sein. Dein Hass reicht so viele Generationen zurück, dein missgünstiges Herz schlägt von Tag zu Tag lauter; es ist unerträglich.

Wie lange können wir diese Bastion noch halten?
Wie lange können wir noch so tun, als geschähe all das Draußen nicht?

2 Comments

  1. Dem Grundguten sind die Bösen die anderen.

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  2. Ich habe lange auf einen Beitrag von Dir gewartet. Nun ist er da – in einer der dunkleren Stunden, in denen mir Worte und Bilder wie Deine fehlen. Aber jetzt bist Du wieder da. Von einer Herrschaft der Antipoden kann nicht mehr die Rede sein. Es sei denn, sie wolle zynisch sein. Wie die Bettler, von denen ein Teil ums Überleben bittet, ein anderer ums Leiden selbst. Zu viele verhungern vor Scham um Hilfe zu bitten auf dem Bett.
    Ungefähr vierhundert Leute, las ich wo. Wenn ich links mit der starken Hand schreibe, ist sie immer noch langsamer als meine Rechte. Sie braucht viel mehr Zeit, um die Buchstaben zu schreiben. Die linke Hand schreibt mit geradem Rückrat. Sie denkt viel länger nach als meine rechte Hand, die immer nur schnell viel auf einmal will.
    Ich wandere in lauteren Stunden in den Covidräumen, die ein Echo hinterließen- es heißt Social distancing. Meinungen sind plötzlich brandgefährlich. Nachrichten klingen wie Schundpgopaganda: wir sind die Besten. Die Selbstdarstellung gewinnt mal wieder.
    Du schreibst so, wie ich wahrnehme, das ist faszinierend und es tröstet gut.
    Pass auf Dich auf, lieber Alexander.
    Es tut irre gut, Dich zu lesen.
    Mit lieben Grüßen ins große B. Aus dem Kleinen,
    Amélie

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